„Urlaub ist Bier“ und ähnlich tiefgründige Sprüche haben mich mein ganzes Trinkerleben begleitet. In meinem Fall entsprach dieser Leitsatz aber den Tatsachen. Seit meinen späten Teenagerjahren habe ich tatsächlich keinen Urlaub nüchtern erlebt. Die ersten einprägsamen Reisen waren Interrail-Trips mit Freunden durch ganz Europa. Dass wir schon bei der Abfahrt vom Bahnhof unserer kleinen Stadt betrunken waren, gehörte zum guten Ton. Zumeist waren wir drei Wochen unterwegs und das Einzige, woran ich mich danach wirklich erinnern konnte, waren die Biersorten der einzelnen Länder.
Auch bei all meinen weiteren Reisen spielte Alkohol eine Hauptrolle. Ich habe im Urlaub stets immer (noch) mehr getrunken als zuhause.
Heute kenne ich den Hauptgrund dafür: neben dem Suchtproblem, dass ich schon hatte, war es Angst, die ich zu betäuben versuchte. Schon von Kindesbeinen an fürchtete ich mich davor, in einem fremden Land krank zu werden oder gar in ein Krankenhaus zu müssen. Ich kann mich daran erinnern, ernsthaft darüber nachgedacht zu haben, mir vorsorglich meinen Blinddarm entfernen zu lassen. Nur damit dieser nicht unterwegs zu einem Problem werden würde. Später, als ich mit meiner eigenen Familie unterwegs war, erstreckte sich diese Angst auch auf sie, vor allem auf meinen Sohn. Was ich noch nicht wusste war, dass Alkohol genau die Angst befeuerte, die ich mit Alkohol zu bekämpfen versuchte. Ich werde dem Thema Alkohol und Angst noch einen eigenen Beitrag widmen. Und auch dem Thema Psychotherapie, die mich schließlich mit der Angst umzugehen lehrte.
Als ich am 4. November 2021 mit dem Trinken aufgehört habe, war das Thema Alkohol im Urlaub meine geringste Sorge. Die alltäglichen Cravings haben mich genug beschäftigt, außerdem stand für das restliche Jahr 2021 und auch für die ersten Monaten im Jahr 2022 keine Reise am Programm.
Die erste große Prüfung ergab sich am 1. Juli 2022: der Start meines jährlichen einwöchigen Trips mit meinem bestem Freund und „Partner in crime“. Wir kennen uns seit 35 Jahren und unsere gemeinsame Zeit gleicht einer wilden Reise. Ich werde wohl auch darüber noch schreiben, nur soviel vorweg: wir haben regelmäßig Dinge angestellt, die grenzwertig waren. Immer waren Alkohol oder andere Drogen im Spiel und wir müssen heute wirklich dankbar sein, keine großen Schäden davongetragen oder angerichtet zu haben.
Als wir am 1. Juli losfuhren, war ich seit genau 240 Tagen ohne Alkohol. Mir war klar, dass die Woche nicht einfach werden würde, ich hatte aber den festen Willen, nüchtern zu bleiben. Meinen Freund hatte ich schon im November 2021 – kurz nach meinem Entschluss mit dem Trinken aufzuhören – darüber informiert. Seine Reaktion war damals großartig: nach einem zunächst ungläubigen „WTF???“ kam schließlich ein „WOW, Wahnsinn! Vielleicht sollte ich das auch in Erwägung ziehen…“. Damit war schon vor der Reise der größte Druck raus.
Ganz ohne „Drogen“ fuhr ich allerdings nicht los: meine Ärztin hatte mich vor der Abreise gefragt, welche Strategie ich mir zurechtgelegt habe, um einen Rückfall zu vermeiden. In meinem Leben hatte Alkohol stets auch eine Belohnungsfunktion und ihre Frage zielte genau darauf ab. Meine Antwort, dass ich mir eine Packung Cohiba Mini Zigarillos mitnehmen würde, befriedigte sie nur mäßig. Dennoch: ich hatte diese schon früher hin und wieder geraucht und einen Idee war nun, mich damit am Abend für die Anstrengungen des Tages „belohnen“ zu können.
Der Rest ist schnell erzählt und ich bin Stolz darauf. Wir waren am Ende 6 Tage unterwegs und ich blieb NÜCHTERN. Ich hatte zwar hin und wieder Cravings, die aber nicht der Rede wert waren. Die Idee mit den Zigarillos war, obwohl diese natürlich nicht gesund sind, eine tolle. In Summe habe ich (nur) 3 Stück ge(b)raucht und ich kann damit gut leben.
Heute fühle ich mich großartig. Ich habe meinen ersten Urlaub ohne Alkohol verbracht und er war wunderschön. In meinem Kopf sind viele tolle Bilder und nicht die Namen von Brauereien gespeichert.
Was ich euch zum Thema Urlaub mitgeben kann:
1) Seid ehrlich zu euch selbst: Urlaub ist nicht Alltag und steht damit außerhalb eurer Routine. Solche Situationen stellen für Suchtkranke immer ein Risiko dar. Macht daher risikobehaftete Dinge erst, wenn ihr euch sicher seid, dass ihr damit umgehen könnt. Ich war am Tag der Abfahrt bereits seit 240 Tagen nüchtern. Mir war klar, dass es nicht einfach werden würde, wusste aber, dass ich es schaffen kann.
2) Seid ehrlich zu euren Lieben: lasst die euch wichtigen Menschen wissen, wie es euch geht. Echte Freunde werden euch unterstützen.
3) Legt euch eine Strategie zurecht: eure Sucht hat eine Ursache. Bei mir war es Angst und die Suche nach Belohnung. Wer die Ursachen kennt, kann man damit umgehen.